infarchant
Orts-Chronik von Farchant
(Geschrieben von Joseph Brandner, Lehrer, aufgewachsen in Farchant.)


Unserem 3900 Einwohner zählenden Ort sieht man seine lange Vergangenheit nicht an, aber er ist sehr, sehr alt. Ein halbes Jahrtausend älter als die Bayerische Hauptstadt München.

Schon um 1200 v. Chr. Hatten die Bernsteinhändler aus dem Ostseeraum durch die Sümpfe und den Urwald des Loisachtales einen Pfad getreten, um den Rohstoff des Nordens gegen begehrte Fertigprodukte des Südens einzutauschen.

Seit etwa 200 n. Chr. hallten dann die Marschschritte römischer Kohorten und die Rufe der Fuhrleute durch unseren Talgrund: Die Römer hatten den mitunter halsbrecherischen Pfad in einer technischen Meisterleistung zu einer Heer- und Handelsstraße ausgebaut, die Norditalien mit Süddeutschland verband.

Die Straße durch´s Loisachtal überdauerte ihre römischen Erbauer um Jahrhunderte. Um 600, nachdem das Imperium Romanum schon längst zerfallen war, rückten die germanischen Bajuwaren, vom Alpenvorland her dem Straßenzug folgend, ins Tal und gründeten zuletzt Forahaida (=Föhrenheide, Farchant) und Germarsgau (Garmisch).

Beim Bau der Eisenbahn Anfang des vorigen Jahrhunderts entdeckte man den Friedhof der ersten Farchanter, die sich im Bereich der nördlichen Hauptstraße niedergelassen hatten: Reihengräber germanischen Ursprungs ohne christliche Beigaben.

Christen wurden die Farchanter nämlich erst rund fünf Generationen später. Um 750 missionierten irische und schottische Mönche unsere Gegend. Man darf mit Sicherheit annehmen, dass in dieser Zeit bereits eine Kirche im Ort errichtet wurde. Wenig später, im Jahr 807, stritten sich der Bischof von Freising und ein Graf aus dem Oberinntal um den Kirchenbesitz des St. Andreas Gotteshauses. Damit ist Farchant erstmals in einer Urkunde nachweisbar.

Um 1200 ließ Herzog Otto v. Meranien aus dem einst mächtigen bayerischen Grafengeschlecht der Andechser zum Schutz des Loisachtales und der Reichsstraße Augsburg – Venedig, die Burg Werdenfels über Burgrain, südlich von Farchant errichten. In zwei umfangreichen Käufen erwarben aber noch im selben Jahrhundert (1249/1294) die Bischöfe von Freising, aus seinem Nachlaß die Grafschaft Werdenfels und damit auch unseren Ort.

Ein halbes Jahrtausend hieß es nun zu recht: "Unterm Krummstab ist gut leben". Das galt in zweifacher Hinsicht. War schon der Landesherr ein Bischof, so gehörten die meisten Farchanter Gehöfte zahlreichen Klöstern (Polling, Dießen, Ettal, Benediktbeuren, Schlehdorf u.a.), die sie an ihre Grundholden weiterverliehen. Wie überall im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, herrschten auch im Werdenfelser Land im 16. und 17. Jahrhundert politische und religiöse Unruhen.

Überfall des Protestantenführers Moritz von Sachsen auf den Kaiser in Innsbruck (1552), Hexenprozesse in Garmisch, dem vier Frauen zum Opfer fielen (1590), Massensterben während der Pestjahre 1633 und 1634, Bau der Schwedenschanze im Norden Farchants zur Abwehr während des Schwedenkrieges.

Zwischen 1700 und 1800 nahm das Dorf unterm Fricken mit seinen gut 300 Einwohnern einen ungeahnten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. 1728 ließen die Farchanter den Münchner Stadtbaumeister Johann Mayr aus den Steinen der verfallenen Burg Werdenfels anstelle der alten, gotischen Kirche, die neue St. Andreas Pfarrkirche erbauen.

Einheimische Flößer gingen mit Holz, Kalk Gips und Vieh auf monatelange Floßfahrten bis nach Ungarn. Andere betrieben als erfolgreiche Kaufleute Handelsniederlassungen in Berlin, Hamburg, Warschau oder Bremen. Bauernsöhne wurden Studenten oder Priester. Der Aufschwung war so auffallend, dass Tiroler und Bayern die Grafschaft Werdenfels jetzt das "Goldene Landl" nannten. Allein in Farchant hatte sich in diesen Jahren das Gesamtvermögen der Bevölkerung von 30000 Gulden auf 88000 Gulden fast verdreifacht. Nahezu die Hälfte der damals bestehenden 73 Anwesen wurde in dieser Zeit abgerissen und den "neuen" Verhältnissen entsprechend wieder aufgebaut.

1793 schließlich erhielt Farchant nach einer großzügigen frommen Stiftung einen eigenen Geistlichen und Lehrer, der in der Pfarrhofstube knapp 40 Kinder zu unterrichten hatte. Um den Österreichern zuvorzukommen, besetzten im Sommer 1802 bayerische Truppen die Grafschaft Werdenfels. Das Staatswesen der Freisinger Bischöfe war in den Napoleonischen Wirren untergegangen. Unser Dorf wechselte, ebenso wie die knapp 6000 Werdenfelser den Landesherrn. Den Bischöfen folgten die Weißblauen Kurfürsten und Könige. Niedergang des Handels, verheerende Epidemien (Cholera 1836) und Viehseuchen (1842) sowie die erhebliche Einschränkung des privaten Rechts am Wald als Holzlieferant trugen zur spürbaren Verarmung unserer Bevölkerung bei.

Erst die 1889 eröffnete Bahnlinie München-Garmisch veränderte zuletzt das Gesicht des Ortes und des gesamten Loisachtales. Flößerei und Fuhrwerk gingen weiter zurück. Dafür entdeckten immer mehr Städter das Landl unter der Zugspitze. Der Fremdenverkehr, heute Wirtschaftsfaktor Nummer eins, nahm seinen Anfang.

Joseph Brandner





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